ESM Teil 2: ESM – detailierte Erläuterungen

2012-10-09-esmIch kann sehr gut nachvollziehen, dass die Gründung einer Institution, die über so viel Geld verfügen wird wie der ESM auf einiges Unbehagen stößt und finde es gut, dass dabei ganz genau auf die Details des Vertragstextes geachtet wird. Dabei entkräften sich die meisten Vorwürfe sehr schnell.

Zunächst zu der Tatsache, dass der ESM Vertrag außerhalb des EU-Vertragswerks steht. Natürlich wäre es wünschenswerter gewesen, einen Vertrag über einen permanenten Stabilitätsmechanismus im Rahmen der Verträge abzuschließen, allerdings ist dies am Willen einiger Mitgliedstaaten gescheitert und darum wurde ein alternativer Zugang, die Errichtung eines völkerrechtlichen Vertrages, gewählt, wie dies auch schon für andere Finanzinstitute gewählt wurde. Der ESM Vertrag als Konstrukt ist darum nichts Neues, die Höhe der Haftungen, um die es geht, ist natürlich nicht vergleichbar mit früheren Rettungsschirmen. Er untersteht übrigens der Gerichtsbarkeit des EUGH.

Es wird kritisiert, dass die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet werden, den vereinbarten Anteil am Stammkapital auch einzuzahlen (Art. 9/3). Nun, wenn wir einen bestimmten Betrag zusagen, werden wir uns auch dazu verpflichten müssen, ihn einzuzahlen. Egal ob man den Vertrag begrüßt oder ablehnt, er wäre wirkungslos, wenn er für die Zahlungsverpflichtung keine Frist und keine Konsequenz vorsehen würde.

Die Hauptkritik gilt Art. 10, der dem Gouverneursrat die Möglichkeit gibt, das Grundkapital zu erhöhen. Dabei wird (absichtlich?) übersehen, dass Österreich mit dem Begleichen seiner Stammkapitaleinlage in den ESM natürlich auch Stimmrechte in den Entscheidungsgremien erwirbt. Im Artikel 5 des Vertrages ist dazu geregelt, dass die wesentlichen Beschlüsse des Gouverneursrates „in gegenseitigem Einvernehmen“, also einstimmig gefällt werden müssen.

Der österreichische Vertreter in diesem Gremium kann also immer ein Veto einlegen und somit sicherstellen, dass die Interessen der Österreicherinnen und Österreicher gewahrt bleiben. Abgesehen davon, ist das österreichische Mitglied im Gouverneursrat, in diesem Fall die Frau Bundesminister für Finanzen auch im Rahmen ihrer Ministerverantwortlichkeit und durch die beschlossenen Begleitgesetze dem Nationalrat gegenüber nicht nur verantwortlich, sondern auch verpflichtet die Zustimmung des Parlaments einzuholen, BEVOR sie im ESM für oder gegen einen Beschluss stimmt, der ein Risiko für Österreich bedeuten könnte. Sie bezieht überdies für diese Tätigkeit natürlich kein (extra) Entgelt.

Der von den Populisten und Hetzern so oft missbrauchte Passus, der ein sogenanntes „dringliches Abstimmungsverfahren“ (85% der Stimmen können Entscheidungen treffen) ermöglicht, ist unbedenklich, weil er nicht dazu verwendet werden kann, das Grundkapital zu erhöhen, die Finanzhilfeinstrumente zu ändern oder das maximale Darlehensvolumen zu verändern. Darüber hinaus kann er nicht willkürlich, sondern nur dann in Kraft gesetzt werden, wenn die Kommission und die EZB gemeinsam „zu dem Schluss gelangen, dass die Unterlassung der dringlichen Annahme eines Beschlusses […] die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität des Euro-Währungsgebiets bedrohen würde.“ Art.4 Abs.4 ESM-Vertrag. Dieses Verfahren ist also nur möglich, wenn wirklich Feuer am Dach ist (z.B. der Zerfall der Eurozone droht) und selbst dann kann es unsere Stammkapitaleinlage nicht erhöhen! (dasselbe und noch mehr gilt natürlich auch für Direktoriumsentscheidungen).

Ein weiterer Punkt, der oft angeführt wird, um ein für Österreich unkalkulierbares Risiko zu behaupten, ist Art. 25 Abs. 2 des ESM Vertrages. Dieser stellt klar, dass ein revidierter erhöhter Kapitalabruf ergehen soll, wenn einzelne Mitglieder einem Kapitalabruf nicht oder nicht zur Gänze nachkommen. Wenn nun z.B. Spanien seine Verpflichtungen nicht erfüllen könnte, so wird gemutmaßt, dann müsste Österreich plötzlich höhere Haftungen übernehmen. MITNICHTEN! Auch hier wird wieder (absichtlich?) der Verweis auf Art. 9 Abs. 2 übersehen. In diesem steht nämlich ganz klar, dass sich dieser Kapitalabruf nur im

Rahmen der bereits vom österreichischen Parlament bewilligten Zusage bewegen darf.
Es ist außerdem schlichtweg falsch, dass ein Austritt aus dem ESM nicht möglich wäre. Natürlich ist er das, auch wenn das im Vertrag nicht extra geregelt ist. Das muss es auch nicht sein, weil das Völkerrecht hier für alle internationalen Verträge eindeutige Regeln vorsieht.

Nicht ist zu vergessen ist auch der Aspekt, dass wir durch die Teilnahme am ESM ja auch selber besser vor möglichen Krisenszenarien geschützt sind, weil dieser riesige Haftungsschirm ja auch für österreichische Staatsanleihen gilt und deren Zinsen niedrig hält. Angriffe durch Spekulanten werden dadurch von vornherein unwahrscheinlich, suchen sich diese doch immer das schwächste Land als nächstes Opfer aus. Diesen Schutz durch solidarische Haftung bekommen wir aber natürlich nur, wenn wir den Vertrag ratifizieren und einhalten!

Die Umsetzung des Vertrages (wie natürlich auch der Vertrag selbst) bedarf der Zustimmung des Parlaments. Im Zuge der Umsetzung müssen gesetzliche Regelungen im österreichischen Recht getroffen werden, die die innerstaatlichen Abläufe bei der Mitwirkung am ESM festlegen. Genau diese Regelungen liegen seit Ende Jänner im Parlament zur Diskussion und wurden seither verhandelt. Bevor sie am Mittwoch beschlossen wurde, fanden in den zuständigen Ausschüssen ausführliche Debatten statt und alle möglichen Ideen flossen ein. Zum Beispiel fand am Donnerstag voriger Woche ein großes Expertenhearing im Parlament dazu statt. Wir haben in der Umsetzung klare Regeln gefunden, mit denen der Vertreter Österreichs im Gouverneursrat des ESM an die innerstaatlichen Organe, sprich das Parlament, gebunden wird. Es werden zwei ständige Unterausschüsse eingerichtet, die der Finanzministerin die Erlaubnis erteilen müssen, zu den wesentlichen Entscheidungen (das sind alle, die unser Geld betreffen) ihre Zustimmung im Gouverneursrat zu geben. Somit haben wir eine transparente Lösung, mit parlamentarischen Informationspflichten und Entscheidungsvorgaben, eine 100%ige Mitbestimmung des Parlaments und VERFASSUNGSKONFORMITÄT durch ausdrückliche Berücksichtigung der Gewaltentrennung!

In diesem Zusammenhang wird von einigen Personen behauptet, die Unterausschüsse wären geheim. Das stimmt nur zum Teil. Der eigentliche Unterausschuss für Entscheidungen im ESM – er wird ca. 90% der Entscheidungen treffen – ist nicht geheim. Seine Entscheidungen werden sogar im Plenum vor allen Abgeordneten diskutiert. Der zweite, kleinere Unterausschuss bespricht nur die Genehmigung von Aktivitäten des ESM im Sekundärmarkt und unterliegt der Geheimhaltungspflicht. Das ist deshalb notwendig, weil dabei alle geplanten Käufe und Verkäufe von Aktien und Anleihen durch den ESM offen gelegt werden und eine vorzeitige Veröffentlichung dieser Information die Märkte negativ beeinflussen könnte. Deswegen werden alle Mitglieder dieses Ausschusses auch mit strafrechtlichen Maßnahmen belangt, wenn diese Informationen zur persönlichen Bereicherung eingesetzt werden oder zu Schädigungen auf den Aktienmärkten führen.

Eines noch: natürlich gibt es Grund dazu besorgt zu sein – ich bin es auch. Ich bin besorgt über die schwachen Volkswirtschaften in Südeuropa, deren Wirtschaftsleistung im Verhältnis zu ihrer Verschuldung teilweise viel zu niedrig ist. Das trifft uns, mit oder ohne Euro, als Exportland jedenfalls. Die südeuropäischen Staaten Portugal, Spanien, Italien und Griechenland haben im Jahr 2011, also mitten in der Krise, österreichische Waren im Wert von 12 Mrd. € gekauft. Das zeigt schon deutlich, dass wir ein handfestes wirtschaftliches Interesse daran haben, diese Staaten nicht den unkalkulierbaren Risiken eines Bankrotts auszusetzen. Noch dazu beschließen wir mit dem ESM Vertrag ja keine neuen Hilfspakete. Es geht vielmehr darum, kommende Hilfen zu reglementieren. Es wurde den EU Spitzen nicht ganz zu Unrecht vorgeworfen, im Zuge der Griechenlandhilfe nicht den souveränsten Eindruck gemacht zu haben. Mit dem ESM schaffen wir ein Regelwerk, dass derartige Hilfen nachvollziehbar zu Stande kommen lässt und auch erstmals eine Staatsinsolvenz als letzten Ausweg vorsieht.

Ich finde es daher gut, dass mit dem ESM ein mächtiges Werkzeug zur Verfügung stehen wird, um in einem solidarischen Akt der Mitgliedsstaaten, das Schlimmste für die betroffenen Länder, und dadurch indirekt für uns, zu verhindern.
Gerade weil in der Vergangenheit viele EU-Länder sich nicht an die Vereinbarung zur Defizitbeschränkung gehalten haben, ist der ESM aus meiner Sicht übrigens immer in Zusammenhang mit dem Fiskalpakt zu sehen.